Leitartikel April 2025

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Mehr als tausend Worte

Kürzlich war ich wieder einmal im Kino. Der deutsche Film «Feste & Freunde» bot nicht nur grossartige Unterhaltung mit einem hervorragenden Schauspielensemble, sondern hat mich auch da und dort zum Nachdenken angeregt.
Eine Gruppe von Freunden trifft sich in lockerer Folge zu diversen Festen. Der Film beginnt mit einer Silvesterfeier im Jahr 2019 und begleitet den Freundeskreis über mehrere Jahre. Wir erleben, wie Menschen zusammenfinden, Beziehungen auseinanderbrechen und das Familienleben der einzelnen Figuren auf heikle Bewährungsproben gestellt wird.
Das Besondere an dem Film ist jedoch, dass er seine Protagonisten immer nur zu bestimmten Festen zeigt, zu denen die Gruppe jeweils zusammenkommt. Zwischen den einzelnen Akten des Films liegen einige Monate. Die Figuren haben sich verändert, sind aneinander gescheitert oder haben Krisen gemeistert. Als Zuschauer bin ich herausgefordert aus den Gesprächen und dem Verhalten der Figuren die Geschehnisse der Zwischenzeit zu rekonstruieren, was dem Film seinen ganz besonderen Reiz verleiht.
Während manche der Figuren schmerzhaft an dem Versuch des Zusammenlebens scheitern oder eine Krise konstruktiv bewältigen müssen, begegnet in der Geschichte ein Paar, welches die ganz grosse Liebe findet. Rolf und Dina lernen sich per Zufall an der Silvesterparty am Anfang des Films kennen. Zwischen den beiden Mittvierzigern entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte, die zwei Jahre später mit einer Hochzeit gefestigt wird. Alles scheint perfekt. Doch etwa ein Jahr später, als wir der Gruppe anlässlich eines Sommerfestes wieder begegnen, merken die Zuschauenden sofort, dass mit Dina etwas nicht stimmt. Sie wirkt abgekämpft, trägt ein Kopftuch und der traurige Verdacht bestätigt sich schnell. Dina ist an Krebs erkrankt, die Chemotherapie hat nicht gegriffen. Noch einmal möchte sie anlässlich dieses Sommerfestes einen Abend im Freundeskreis verbringen.
Und nun erleben wir die wohl berührendste Szenes des ganzen Films. Rolf stimmt für Dina ein Lied an. Eigentlich, so bekennt er, wollte er schon an der Hochzeit für sie singen, doch damals hatte ihm der Mut gefehlt. Nun aber besingt er mit brüchiger Stimme die grosse Liebe zu seiner Frau. Das bei dieser Szene im Kino das grosse «Nastüechli-Zücken» ausbrach, versteht sich von selbst. Und einmal mehr zeigt sich, wie viel Wahrheit in der alten Weisheit steckt, dass ein Lied oft mehr als tausend Worte sagen kann.
In diesem Monat begeht die Christenheit den letzten Weg Jesu. Gemeinsam mit den Texten der Evangelien steigen wir hinab in die tiefsten Keller der menschlichen Existenz, um schliesslich in den Jubelruf einzustimmen «Christ ist erstanden». Auch in diesem Festkreis werden wir manche Lieder singen. Lieder, die vielleicht weniger geläufig sind als diejenigen, die wir an Weihnachten miteinander anstimmen. Und doch können sie oft mehr sagen, als viele Worte einer gelehrten Predigt. Und wer sich schon einmal bewusst auf Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion eingelassen hat, der weiss erst recht, wie die Musik ein Schlüssel zur Verkündigung sein kann. Deshalb: «Lasst uns Singen von Tod und Auferstehung, denn ein Lied sagt mehr als tausend Worte!»
Herzlich grüsst Sie

Emanuel Memminger, Pfarrer

Bildlegende: Ausschnitt aus einem mittelalterlichen Gesangbuch aus der Piccolomini-Bibliothek in Dom von Siena (Foto: Emanuel Memminger)
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